NWZ – 22.04.2013 – Horst Hollmann
Beim Urheberrecht würde Johann Sebastian Bach auch heute nicht anecken. Er hat sich einfach immer wieder selbst zitiert, eigene Chor- und Instrumentalsätze doppelt und dreifach verwendet. Wenn der Oldenburger Kammerchor, Solisten und das Barockorchester „La Dolcezza” in St. Ansgari in Eversten die Missa in G-Dur BWV 236 aufführen, dann führen sie ein Pasticcio aus Teilen vor, die anderen Kirchenkantaten entlehnt sind.
Bachs Genialität und die Kunst der Ausführenden greifen unter Leitung von Johannes von Hoff glücklich ineinander. Die Methode, eigene Vorlagen mit anderen Texten zu hinterlegen, mag von Hektik und Stress bei der kompositorischen Arbeit zeugen. Doch das ist in der kleinen G-Dur-Messe nie zu spüren. Die sechs Chöre und Arien sind ausnahmslos Parodien aus den Kantaten 17, 79 und 179. Doch in dieser Aufführung erhält die Musik eigene Größe und Bekenntnischarakter. Dorothee Mields (Sopran), Franz Vitzthum (Altus), Max Ciolek (Tenor) und Ekkehard Abele (Bass) mischen Natürlichkeit mit Gemessenheit und persönlicher Färbung
Der Everster Kantor hat die Missa und die beiden Motetten „Singet dem Herrn” und „Ich lasse dich nicht” für zwei vierstimmige Chöre geschickt in einen instrumentalen Rahmen gefasst. Die weit über Oldenburg hinaus geschätzte Geigerin Veronika Skuplik rückt alle Vorzüge ihres 15-köpfigen Ensembles ins beste Licht. Ob die Ouvertüre zur 1. Orchestersuite oder die Sinfonias aus den Kantaten „Ich hatte viel Bekümmernis“ und „Am Abend aber desselbigen Sabbats”: So atmosphärisch verschieden diese Musiken sind, so differenziert agieren Streicher und Holzbläser. Rhythmisch pointiert, plastisch artikuliert, hoch virtuos, dynamisch wendig, farblich von enormer Vielfalt – „La Dolcezza” kann zart hauchen, Klänge scharf zuspitzen und ebenso mitreißend zupacken wie zum Innehalten zwingen.
Seine Motetten hat Bach weniger zum Gebrauch im Kirchenjahr als zu weniger alltäglichen Anlässen komponiert. Die erhöhten Ansprüche erfüllt der Chor jederzeit. Die strömenden Melodiebögen sind ausphrasiert, über Treppen von Sechzehnteln huschen die Sängerinnen und Sänger trittsicher. Architektonisch stehen die fragilen Gebilde im Gleichgewicht. Wenn im Motetten-Eingang dem Herren eher demütig als jubelnd gesungen wird, dann findet das ein Gegengewicht im herausgehobenen „Lobet den Herrn” als Schluss.
Die heiklen Tücken der Intonation in den Motetten umgeht von Hoff mit der Praxis, instrumental den Grund zu legen. Doch dieser Chor könnte die Stücke wohl ebenso sicher a cappella singen.
Quelle: https://www.nwzonline.de/kultur/trittsicher-durch-alle-schwierigen-noten-passagen_a_5,1,693251414.html