NWZ – 26.11.2012 – Horst Hollmann

Es soll hier keinesfalls der Hölle das Wort geredet werden. Und die prognostizierten Schrecken des Jüngsten Tages gehören beileibe nicht verharmlost. Man muss sich gar nicht mit dem Teufel einlassen. Es reicht, einem gewissen Georg Philipp Telemann auf den Leim zu gehen.

Der hat, mit 81 Jahren, 1762 den „Tag des Gerichts” komponiert. In St. Ansgari hat Johannes von Hoff diese Mischung aus Oratorium, Kantate, Singgedicht und Betrachtung musikalisch inszeniert. Was soll man dazu sagen? In der Hölle tobt das Leben, verführt zum Mittanzen. Der Weltuntergang lockt zum Abenteuerurlaub.

Was aufgeklärte Gesellschaften als nervenkitzelndes Pauschalangebot genießen könnten, hatte Telemann natürlich nicht im Sinn. Wenn er Szenen von „verlöschenden Sonnen und stürzenden Welten” ausmalt, wenn er „überall der Verwüstung Zeichen” setzt, wenn „im wilden Ozean die Empörung jede Welle an die erschrockenen Ufer schmeißt”, dann sind das schon apokalyptische Bilder. Nun gut, die Naivität ihrer Symbolik wurde auch im Barock gespürt.

Doch diese Einfachheit mit glaubhaftem Ernst zu mischen, ist die hohe Kunst der Ausführenden in der voll besetzten Kirche. Die Musik ist ohne pietistische Strenge vielfältig, bunt schillernd mit charaktervollen Ariosi, wild gezackt in ihren Untergangsszenarien, drohend in ihren Hörner-Ausbrüchen. Sie reicht weit voraus, hin zu Empfindsamkeit und Sturm und Drang.

Dass heute solche Höllenritte eher schön als furchterregend wirken, ficht auch Hoff nicht an, als Kantor ist er ja zertifizierter Christ: „Das nehmen wir einfach so wie es ist.” Er weiß: Glaube und Vernunft, in den Partien Sopran und Alt personifiziert, sowie die ebenso monumentalen wie innigen Chöre der Seligen und der Himmlischen triumphieren am Ende.

Die Musiker und Sänger ordnen sehr logisch all das, was so in Überfülle da liegt. Die Tempi sind ohne jede Hetze flüssig, es wird genau deklamiert und dem Nerv der Musik feinfühlig nachgespürt. Die 21 Instrumentalisten vom Barockorchester „La ­Dolcezza” der Oldenburger Geigerin Veronika Skuplik schreiten leichtfüßig durch alle reichhaltigen Verzierungen, können aber auch mit Bass- und Bläserwucht ganze Gebirge schleifen.

Mit Frische und Begeisterung stecken Solisten und Oldenburger Kammerchor sich gegenseitig an. Zu sauberer Intonation fügen die 17 Sängerinnen und 15 Sänger eine Fülle an dynamischen Abstufungen, nie bedarf es in Aufschwüngen der Kraftmeierei. Das Solistenquartett, nach Erkrankungen neu gemischt, fügt sich charaktervoll ineinander: Tanya Aspelmeier (Sopran, sehr saubere Höhe), Wiebke Lehmkuhl (Alt, wunderbar voll und beweglich), Knuth Schoch (Tenor, mühelose Ansprache), Markus Flaig (Bass, helles Timbre, sicher in schnellen Figuren).

Eine Ausgrabung, enthusiastisch gefeiert – und für die rasche Ablage viel zu schade.

Quelle: https://www.nwzonline.de/kultur/in-der-hoelle-tobt-so-verfuehrerisch-das-leben_a_1,0,2707990377.html